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In einer alten Villa am Meer treffen sich Künstlerinnen und Künstler zu einem Land-Art-Symposion. Viele von ihnen hatten sich im Geist von 1968 von Zwängen befreit, gesellschaftliche Verhältnisse und Doppelmoral in Frage gestellt, waren in eine neue veränderbare Welt aufgebrochen. Inzwischen hat sich gezeigt, was von ihren Träumen, Ansichten und Einsichten trägt.
Vor dem weiten Horizont entstehen nicht nur Kunstwerke, es entwickelt sich ein vielschichtiges Beziehungsgeflecht. Unerwartete Begegnungen aktualisieren Sehnsüchte, auch nach einem ehrlicheren, wesentlicheren Leben. Vor allem Ruth, Lizzy und Ricardo sind geprägt von politischen, erotischen und gesellschaftlichen Utopien. Hoffnungen und Visionen erzeugen Spannungsfelder zur Realität.
Es wird deutlich, dass individuelles Scheitern und subjektive Enttäuschungen objektive Bedingungen haben und letztlich politische Vorgänge sind, die jede Generation und ihre Ideale betreffen und nicht als persönliches Versagen verstanden werden können.
Aktuelle und uralte Fragen zu Kunst und Natur, zu Politik und sexueller Befreiung bewegen nicht nur die alten Freundinnen und Freunde bei ihrer Arbeit, in ihren Liebesbeziehungen, bei Happenings, Küchengesprächen und Strandwanderungen.

Stimmen zum Buch

Die Autorin hat u.a. die Revolte der 68er gegen die herrschenden sozialen, kulturellen und politischen Normen, die insbesondere für die Frauen prägend geworden sind, zum Thema ihres Romans gemacht. (Nordsee-Zeitung, Bremerhaven)

Geschickt lässt die Autorin Beweggründe, Begeisterung und Empörung ihres Personals für den Aufbruch von damals aufscheinen und mit der aktuellen Entwicklung korrespondieren. Deutlich wird, wie sich die Vorstellungen und Hoffnungen in den Biografien einzelner verändert und zum Teil an die Bedingungen angeglichen haben… In einfühlsamer, authentischer Sprache lässt Renate Schoof die Frauen zu Wort kommen und sich über gute und schwierige Erfahrungen mit der „sexuellen Befreiung“ austauschen … spannend und zugleich informativ, zumal die Autorin mit erfrischender Offenheit auch aktuelle Fragen aus Politik und Kunstbetrieb anspricht. (Neue Rheinische Zeitung)

Eine aus vielen ganz unterschiedlichen Handlungs- und Gedanken-Facetten geknüpfte Geschichte … Man kann „Blauer Oktober“ als einen Roman lesen, dessen handelnde Personen ihren Lesern sehr wohl als politisch denkende Menschen begegnen … (Cuxhavener Nachrichten)

In Diskussionsrunden und Streitgesprächen geht es um die Frage, was sich erhalten hat von den hochfliegenden Ideen jener Jahre. Im Mittelpunkt steht Ruth, eine interessante Frau, die sich Freiraum geschaffen und erhalten hat und, das Werben des Bildhauers Ricardo missachtend, sich dem Journalisten Jan zuwendet, der das Symposion begleitet.
In dichten lyrischen Passagen lässt R. Schoof das Meer zum Synonym für Aufbruch und Wandlung werden, Träume im Auf und Ab flutender Wellen Gestalt annehmen. Eine schlüssige Darstellung, deren Thema, die Suche nach einem sinnvollen Leben in einer humanen Welt, gültig war und bleibt. (ekz-Bibliotheksservice)

Schoof thematisiert in teilweise lyrischer Sprache die einstigen bahnbrechenden politischen, künstlerischen und gesellschaftlichen Ideale der 1968er Generation und stellt ihnen Kunst und Ideale derselben Figuren 30 Jahre später gegenüber. Gespickt mit Pop-Musik-Titeln und Parolen der 1968er versteht sie es, die Leser in die nüchterne Wirklichkeit der in die Jahre gekommenen Figuren zu versetzen. (Borromäusverein)

… als politisch denkende Frau sind Ruth auch die Ursachen und Fehlentwicklungen der letzten Jahrzehnte klar. Diese gesellschaftliche, politische Dimension spielt eine wichtige Rolle für sie. Und nicht nur für sie. Dies ist im Text klar herausgearbeitet, spannend zu lesen, eingebunden in diese Geschichte, die man/ frau nicht weglegen will. Es ist die Sicht auf unser aller Leben, indem das Persönliche politisch und das Politische gleichzeitig persönlich ist. Eine Sichtweise, die einem der heutige Mainstream durch die Medien (und durch die dahinter stehenden Interessen) bewusst schwer macht, eine Sichtweise, die vielleicht altmodisch erscheint, aber doch höchst aktuell ist, wenn wir uns die Verhältnisse in unserer Gesellschaft etwas näher betrachten.
Es gelingt Renate Schoof einfach hervorragend, in ihrer unaufgeregten Art und ihrer sehr intensiven Schreibe diesen Kosmos darzustellen: Der Anspruch von Emanzipation und die Nachwirkungen traditioneller Erziehung, der Anspruch von politischer Befreiung und Teilhabe und die Realität in der heutigen Zeit. Die Möglichkeiten von Kunst und künstlerischer Selbstdarstellung und ihren Grenzen. Ein großartiges, ein lesenswertes Buch. (Buchhandlung Klinger, Köln) 

Leseprobe 1

„Die Berechtigung von Kunst ist ihre eigene Art der Welterkenntnis und ihr ebenso vieldeutiger wie präziser Ausdruck für etwas, dem wir uns nur anzunähern vermögen. Künstlerisch arbeiten heißt für mich: Verstehen lernen.“
(…)
Als Ricardo ans Rednerpult tritt, ist Ruth froh über den breiten Rücken ihres Vordermanns, der den Flirt vor ihm verbirgt. »›Man muss den Stein verstehen‹ hat einmal unser englischer Kollege Andy Goldsworthy gesagt«, beginnt Ricardo nach einem herzlichen Applaus und fährt fort: »Wir möchten in den nächsten Wochen mit dem Meer ins Gespräch kommen, mit den Elementen zusammenarbeiten, Erfahrungen miteinander und mit Ihnen teilen. Wie Sie alle wissen, treffen sich die hier versammelten Künstlerinnen und Künstler nicht zum ersten Mal. Vor Jahren hieß es schon einmal ›Künstler vor dem Deich‹. Wir feiern aber kein Jubiläum, sondern ein Revival, ein Wiederbeleben alter Freundschaften, ein Anknüpfen an unsere Träume, Hoffnungen und Ideale – und last not least setzen wir ganz praktisch Eindrücke und Erfahrungen mit dem Meer, mit der Küste hier und jetzt in künstlerischen Ausdruck um.« Während Ricardo weiterspricht, Worte des Dankes an die Sponsoren findet – obwohl noch nicht einmal die Hälfte der zugesicherten Beträge eingegangen sind –, spürt Ruth den warmen Atem ihres Stuhlnachbarn. »Haben Sie schon eine Idee, wohin Ihr Floß Sie diesmal trägt?« 

Leseprobe 2

„Und mein emotionaler Trugschluss ist, dass Sexualität automatisch Nähe bedeutet, näher geht’s ja eigentlich kaum noch“, sagt Lizzy. „Inzwischen ist mir bewusst, dass vor allem meine Seele scharf ist. Ich weiß nicht, wie es dir geht. Wo bist du krank vor Sehnsucht? Im Schoß? Mir jedenfalls brennt’s das Herz weg. Als wäre meine Speiseröhre verätzt. Da brennt das Höllenfeuer, in meiner Brust. Und da verbrennt’s mich, wenn der, den ich begehre, mich nicht umarmt.“

Leseprobe 3

Durch die Dunkelheit leuchtet das Wort Hilfe. Nicht grell, nein, fast heimatlich. Kein Ausrufezeichen macht es zum Schrei. Es könnte genauso gut ein Hilfsangebot sein: Hier wartet Hilfe. An dieser Stelle, auf dieser Wiese. Hier ist das rettende Land für die da draußen, für die auf hoher See in Not Geratenen. Aber Fehlfeuer gab es auch, Lichtsignale, mit denen Küstenbewohner Schiffe an ihre Strände lockten, um sie auszurauben. Ruth geht auf die Skulptur aus Neonröhren zu, denkt: néon, das Neue.
Endlich steht sie vor dem Schriftzug. Vielleicht ist er drei Meter hoch, schätzt sie, und fünf Meter breit. Sie betrachtet, ja betastet die nebeneinander laufenden dicken Leuchtstoffröhren, für jede Farbe eine: Gelb, weiß, blau und ein fast schwarzes Rot.
»Bleib so!«, hört sie Ricardo vom Deich aus rufen. Er kommt fotografierend näher, erreicht sie schließlich mit den Worten: »Wunderschön, du im gelben Licht, vor so viel Dunkelheit.«
(…)
Sorgfältig verwahrt er die ausgetretene Kippe in der blauen Packung, bevor er sagt: »Wir 68er strebten doch etwas ganz Normales an: Eine Welt ohne Ungerechtigkeit und Krieg, ohne Doppelmoral und die ganze Verlogenheit. Aber nicht nur der Prager Frühling wurde erstickt. Auch was im Westen keimte, wurde am Wachsen gehindert, auf andere Art zerstört. Selbstredend fährt das Kapital keine Panzer auf, jedenfalls nicht bei uns. Da gibt es andere Waffen: Berufsverbote für Linke, gewollte Arbeitslosigkeit, das Ausplündern der Etats von Staaten, Gehirnwäsche per Fernsehen, bis die Friedhofsruhe wieder hergestellt ist. Doch solange Klassenkampf von oben geführt wird, werden sich Menschen finden, die sich wehren.«
Er wendet sich um, fotografiert aus der Entfernung noch einmal seine Skulptur, sagt: »Klar, Begriffe wie Klassenkampf sind aus der Mode. Man schafft solche Wörter ab. Die Massen kämpfen nicht, sie verfaulen als Couchpotatos vor dem Tatort. Selbst der Antikommunismus läuft ohne Kommunismus prima weiter, um Menschen von vornherein jede Lust auf eine Alternative zu nehmen.«
Deutlich nimmt sie sein Schwanken zwischen Zukunftsmut und Verzweiflung wahr. Ihr fällt ein Lied ein, das sie früher gemeinsam gehört haben. »Wenn die Nacht am tiefsten, ist der Tag am nächsten«, sagt sie leise; erinnert sich an einen Konzertbesuch, damals, mit ihm ganz allein. Ton-Steine-Scherben. An Rio Reiser, der sich völlig verausgabte, schweißnass über die Bühne tobte und alle mitriss.